Der Lutherstein


 

­­ ­­­Am 2. Juli 1505 war Martin Luther zu Fuß von seinem Heimatort Mansfeld nach Erfurt zum Studium unterwegs. Er nutzte eine über Allstedt und Sangerhausen nach Erfurt führende Nebenstrecke der „Magdeburger Straße“, die Magdeburg und Regensburg verband. Luther ging diesen Weg nicht zum ersten Mal, denn bereits seit 1501 studierte er in Erfurt. Die Universität zeichnete sich durch ein anregendes, nicht zuletzt durch die Humanisten geprägtes geistiges Klima aus. Vor wenigen Monaten, im April 1­505, hatte Luther ein hervorragendes Magisterexamen im verpflichtenden Grundstudium der septem artes liberales (Sieben freien Künste) abgelegt und auf Wunsch seines Vaters eben mit dem Jurastudium begonnen; neben Medizin und Theologie einer der drei Hauptstudiengänge.

Sein Vater war ein kleiner, aber aufstrebender Bergwerksunternehmer im Mansfelder Kupferbergbaurevier und erhoffte sich viel durch diese Studienwahl. Unweit Stotternheims geriet Luther in ein heftiges Sommergewitter. Was ihm widerfuhr, hat er 34 Jahre später in einem Tischgespräch so beschrieben:

„Ich bin durch einen Blitzstrahl bei Stotternheim derart erschüttert worden, dass ich gerufen habe: Hilf du heilige Anna, ich will ein Mönch werden! Nachher reute mich das Gelübde, und viele rieten mir ab. Ich aber beharrte darauf, und am Tage vor Alexius (16. Juli) lud ich die besten Freunde zum Abschied ein, damit sie mich am morgigen Tag ins Kloster geleiteten. Als sie mich aber zurückhalten wollten, sprach ich: Heute seht ihr mich zum letzten Mal. Da gaben sie mir unter Tränen das Geleite. Auch mein Vater war sehr zornig über das Gelübde, doch ich beharrte bei meinem Entschluss. Niemals dachte ich das Kloster zu verlassen. Ich war der Welt ganz abgestorben.”

Luther brach das Jurastudium ab und begehrte am 17. Juli 1505 Aufnahme in das Augustinerkloster in Erfurt. Die Auswahl an kirchlichen Einrichtungen in der Stadt war groß: Es gab vier geistliche Stiftungen, 21 Pfarrkirchen und elf Klöster in Erfurt, das deshalb auch als erfurt turrita (= turmreiches Erfurt) bezeichnet wird. Die Augustinereremiten waren ein Bettelorden mit strenger Ordensregel.   Der Lutherstein erinnert an dieses Ereignis.

Folgende Inschriften sind zu lesen: Geweihte Erde / Werdepunkt der Reformation / In einem Blitz vom Himmel / wurde dem jungen Luther / hier der Weg gewiesen (Westen) Hilf Du Sankt Anna / ich will ein Mönch werden (Osten) 2. Juli 1505 (Süden) Ex Thuringia Lux (= a us Thüringen kommt das Licht / Norden).

Historiker gehen heute davon aus, dass das Gewitter bei Stotternheim wohl der Auslöser, aber sicherlich nicht die Ursache dieser Wende in Luthers Leben war. Manche sprechen von einer Lebenskrise. Auf welchen Weg ihn dieser Entschluss führen sollte, lag an jenem Hochsommertag 1505 noch völlig im Dunkeln.   Der junge Magister verhielt sich in seiner Not der Zeit entsprechend. Er rief die Heilige Anna an, die als Mutter Marias verehrt wurde. Der Anna-Kult stand seinerzeit im Zenit. 1481 hatte Papst Sixtus IV. ihren Gedenktag in den römischen Kalender aufgenommen. Sie galt unter anderem als Schutzpatronin der Bergwerke und gegen Gewitter und war Luther in der ängstigenden Situation und seiner Herkunft nach besonders nah. Auch der Eintritt in ein Kloster als Weg zum Heil war nicht außergewöhnlich.

„Wie bekomme ich einen gnädigen Gott?“ Das war eine Frage, die Luthers Zeitgenossen und ihn selbst umtrieb. Sie wurde letztlich zur Ausgangsfrage lutherischer Theologie. Nicht der vorbildliche Lebenswandel im Kloster oder gute Werke, sondern Bibel, Glaube und Gottes Gnade waren die Antwort, die er formulieren sollte. Mit den 95 Thesen, die Luther am 31. Oktober 1517 in Wittenberg veröffentlichte, war der entscheidende Schritt getan, der die Reformation in Gang setzte. Da hatte Luther in der Obhut seines Ordens bereits eine respektable Theologenkarriere zurückgelegt.

Die Geschichte des Luthersteins selbst knüpft an dieses Datum und nicht an das Ereignis selbst. Aufgerichtet wurde der Stein 1917 zum 400. Jahrestag des Thesenanschlags von Wittenberg. Gestiftet hatte ihn die Erfurter Geschäftsinhaberin Dorothea Peterseim. Eingeweiht wurde das Denkmal am 4. November 1917, vier Tage nach dem Reformationstag, im Rahmen eines Feldgottesdienstes. Die Festrede hielt der Erfurter Gymnasialdirektor und Historiker Johannes Biereye (1860-1949), der den jetzigen Standort des Denkmals auch als vermutlichen Ort des dramatischen Geschehens bestimmt hatte. Sänger aus Erfurt und Stotternheim umrahmten die Feier, und es predigte der als Kriegsvertretung auch für Stotternheim zuständige Mittelhäuser Pfarrer Lubert Bley. Mitten im Ersten Weltkrieg waren auch nationalistische Töne zu hören, Luther war eine maßgebliche Identifikationsfigur im deutschnational dominierten Protestantismus der Zeit.

Davon war spätestens nach dem Zweiten Weltkrieg nichts mehr geblieben, der Lutherstein behielt seine Bedeutung jedoch als christliches Denkmal. So predigte der damalige evangelische Landesbischof Dr. Moritz Mitzenheim zur 450. Wiederkehr des Blitzerlebnisses am 2. Juli 1955 am Lutherstein. Am 2. Juli 1983 fand ein großer Gottesdienst im Rahmen des Lutherjahrs statt, mit dem auch in der DDR der 500. Geburtstag des Reformators begangen wurde. Am 2. Juli 2005 erinnerte schließlich der evangelische Landesbischof Dr. Christoph Kähler in einem ökumenischen Gottesdienst an Luthers Blitzerlebnis und im Jahr 2011 predigte die Landesbischöfin Junkermann hier. Sie knüpften damit an die gute Gepflogenheit evangelischer und katholischer Christen aus Stotternheim an, diesen Gottesdienst jährlich gemeinsam zu feiern. 2017 wird Gelegenheit sein, hier an den 500. Jahrestag des Wittenberger Thesenanschlags und den 100. Geburtstag des Luthersteins hinzuweisen.

Heute tritt schließlich die Bedeutung des Denkmals als Naherholungsziel hinzu. Ein Reiseziel für einzelne, vor allem evangelische Christen aus aller Welt, war der Stein schon immer und verstärkt seit der deutschen Wiedervereinigung 1990. Die leichte Anhöhe gewährt einen guten Blick auf Stotternheim und seine nähere Umgebung. Im Rahmen des Regionalentwicklungskonzepts „Erfurter Seen“ ist viel geschehen, um das Umfeld des Luthersteins aufzuwerten. Die umgebende Grünfläche wurde von 200 auf 3000 qm erweitert und umfangreich bepflanzt, so dass ein zusammenhängender Landschaftsraum entsteht. Ein Parkplatz und Stellplätze für Busse entsprechen der wachsenden touristischen Bedeutung. Hinzu kommen eine Schutzhütte und Rastmöglichkeiten.

Karl-Eckhard Hahn

Informationen zur Grünen Kirche am Lutherstein gibt es hier

Nächster Gottesdienst am Lutherstein:

Sa, 2. Juli 2023, 19 Uhr, Predigt: n.n.